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Dorfentwicklungspläne: Lokale Governance-Regelungen und die Rolle der Lenkungsgruppen

Die Studie untersucht, wie die in Hessen initiierten Dorfentwicklungsprozesse umgesetzt und verstetigt werden und welche Rolle Lenkungsgruppen in der Umsetzungsphase spielen.

  • Germany
  • 2014-2022
  • Socio-economic impacts
Historische Gebäude in Volkringhausen, einem Ortsteil der Stadt Balve im Sauerland

Hessen verfolgt bei der Dorfentwicklung – einer gemischt finanzierten Maßnahme von EU, Bund und Land – einen konzeptionellen Ansatz, bei dem partizipative Elemente eine große Rolle spielen.

Die Studie untersucht, wie die in Hessen angestoßenen Dorfentwicklungsprozesse umgesetzt und verstetigt werden und welche Rolle die Lenkungsgruppen in der Umsetzungsphase spielen.

Die Studie wurde im Rahmen der Bewertung des Entwicklungsprogramms für den ländlichen Raum (EPLR) des Landes Hessen von 2014 bis 2020 mit der Teilmaßnahme 7.1 (Dorfentwicklungspläne) durchgeführt. Im Rahmen dieser Maßnahme wird die Erarbeitung des Integrierten Kommunalen Entwicklungskonzepts (kurz IKEK, ähnlich einer Lokalen Entwicklungsstrategie) und die Begleitung der Umsetzung in ausgewählten Gemeinden, sogenannten „Schwerpunktgebieten“, gefördert.

Die Studie konzentriert sich insbesondere auf Lenkungsgruppen in der Umsetzungsphase der Dorfentwicklung. Lenkungsgruppen sind ein Kernelement der partizipativen Dorfentwicklung, die zu Beginn der Konzeptphase des IKEK von den Gemeinden eingerichtet und während der Umsetzungsphase fortgeführt werden. Die Lenkungsgruppe ist verantwortlich für die Erarbeitung und Umsetzung eines integrierten kommunalen Entwicklungskonzeptes.

Die mit dem hessischen Dorfentwicklungsansatz etablierten Formen der Zusammenarbeit in den Dörfern können als Local-Governance-Arrangement eingeordnet werden. Ähnlich wie bei LEADER handelt es sich um einen „Down-up-Prozess“ mit vielen rechtlichen Vorgaben von oben und gleichzeitiger Ideenfindung von unten. Für die einzelnen Gemeinden haben die Dorfentwicklungsfonds jedoch eine deutlich höhere monetäre Bedeutung als LEADER-Mittel.

Die Studie analysiert den Dorfentwicklungsprozess und die Rolle der Lenkungsgruppen als einen Baustein bei der Umsetzung der Dorfentwicklung im Rahmen des EPLRs.

Für die Analyse wird der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus gewählt, der häufig in Governance-Kontexten verwendet wird. Eine standardisierte Online-Befragung der stimmberechtigten Mitglieder der Lenkungsgruppen wurde im März 2021 durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 74 Schwerpunktgebiete (Gemeinden) in der Umsetzungsphase. Für drei Viertel (n=56) dieser Schwerpunktgebiete ermöglichte die Befragung, ein Meinungsbild über den bisherigen Prozess zu erhalten und mögliche Faktoren für erfolgreiche Dorfentwicklungsverfahren abzuleiten. Insgesamt gaben 236 stimmberechtigte Mitglieder ihre persönliche Einschätzung ab.

Die Studie stützt sich vor allem auf eine Bestandsaufnahme der Literatur und eine Primärdatenquelle: die Befragung, denn ihr Gegenstand ist die Analyse des Prozesses. Die Ergebnisse der geförderten Projekte (die im Rahmen der Maßnahme 7.4 durchgeführt werden) sind nicht Teil dieser Studie.

Hinsichtlich der Zusammensetzung der Lenkungsgruppen in der Dorfentwicklung konnten zwei Interessenvertreter in den Lenkungsgruppen identifiziert werden: a) Politik und Verwaltung und b) sonstige lokale Interessenvertreter, zu denen Vertreter von Vereinen, Bürgerinitiativen und Privatpersonen sowie in geringerem Umfang auch private Unternehmen gehören. Die Gruppe „Politik und Verwaltung“ dominiert mit mehr als der Hälfte aller stimmberechtigten Mitglieder. Hinsichtlich der Repräsentativität der Lenkungsgruppe für die Bürgerinnen und Bürger der Kommunen sind die Ergebnisse vergleichbar mit ähnlichen Arrangements wie den Lokalen Aktionsgruppen (LAG) in LEADER oder den hessischen Gemeinderäten. Insbesondere Frauen und junge Menschen sind in den meisten Lenkungsgruppen unterrepräsentiert.

Die Einrichtung einer Gruppe, die die Umsetzung des IKEK als kommunale Handlungsleitlinie begleitet und in der sich die verschiedenen Interessenvertreter zusammenfinden, ist zu unterstützen. Allerdings darf die Einrichtung einer solchen Gruppe kein Selbstzweck sein, sondern ihre Aufgabe und Rolle muss klar definiert sein. Es muss transparent gemacht werden, inwieweit Änderungen von Vorschlägen möglich sind und dass nach dem demokratischen System in Deutschland die endgültige Entscheidung über öffentliche Projekte beim Gemeinderat liegt. Dennoch sollte der Rat die von der Lenkungsgruppe erarbeiteten Stellungnahmen berücksichtigen.

In Anbetracht der starken Rolle der Gemeinde im Dorfentwicklungsprozess und der beratenden Funktion des Begleitgremiums wäre die Bezeichnung „Beirat“ angemessener als „Lenkungsgruppe“. Generell sind die Grundregeln der Beteiligung wie Benennung von Zweck und Ziel, Handlungsspielraum und Entscheidungsbefugnis zu beachten. Ansonsten können Beteiligungsverfahren zu Frustration und Demotivation führen.

Auf staatlicher Seite besteht ein Spannungsfeld, wenn es darum geht, den Rahmen für partizipative Ansätze in der Dorfentwicklung zu setzen. Wenn die Vorgaben zu detailliert und streng sind, fühlen sich die Gemeinden eingeengt. Ohne Vorgaben könnten einige Gemeinden eine sehr breite Sichtweise der Bürgerbeteiligung einnehmen, die das staatliche Ziel der Dorfentwicklung, nämlich die Einbindung der Bürger in den Prozess, verfehlen würde.

Der im Rahmen des geförderten Dorfentwicklungsprozesses angestoßene Entwicklungsgedanke soll unter dem Aspekt der „Verstetigung“ in die weitere Arbeit in den Dörfern einfließen.

Der Entwicklungsgedanke soll in der weiteren Dorfarbeit beibehalten werden, um den Dorfentwicklungsprozess über die Förderung hinaus fortzusetzen. Im Mittelpunkt steht dabei die Eigeninitiative der Dörfer, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Aktivitäten und Projekte selbst zu organisieren.

Dies kann z.B. die Fortführung oder Gründung eines (Dorf-)Vereins sein, der sich um lokale Belange kümmert. Inwieweit dies in der Umsetzungsphase erreicht werden kann und wie die Interessenvertreter besser unterstützt werden können, muss weiter geprüft werden. Die Ausbildung von Menschen zu „Dorfkümmerern“ ist eine Möglichkeit, ehrenamtliche Aktivitäten in den Dörfern zu unterstützen (in Hessen bereits umgesetzt).

Das Dorfentwicklungsprogramm wird auch in der neuen Förderperiode ab 2023 fortgesetzt. Eine wesentliche Änderung in der neuen Förderperiode ist, dass die Gemeinde bereits mit der Bewerbung für das Programm ein kommunales Konzept vorlegen muss. Das Konzept muss jedoch nicht das gesamte Themenspektrum des IKEK abdecken. Nach der Bewilligung als Schwerpunktgebiet könnte die Kommune sofort in die Phase der Investitionsförderung eintreten. Mit dieser Änderung reagiert das Land auf die oft kritisierte lange Zeitspanne zwischen der Entwicklung von Projektideen und der anschließenden Umsetzung. Dies kann dazu beitragen, die Motivation der freiwilligen Interessenvertreter zu erhalten. Eine weitere positive Veränderung ist die geplante Einrichtung eines Kleinprojektefonds für bürgerschaftliches Engagement. Er ermöglicht es den Kommunen, Vereine und andere Initiativen schnell und niedrigschwellig zu unterstützen.

Mit Blick auf die Beteiligungsverfahren in der Umsetzungsphase sollte sich die weitere Forschung auf die Einstellung und Motivation der Kommunen und ihrer Verwaltung konzentrieren. Leitende Fragen sind: Inwieweit wird die Beteiligung von Interessenvertretern ernst genommen, oder ist sie nur eine lästige Pflicht, um Zugang zu Investitionsmitteln zu erhalten? Inwieweit führt die Beteiligung zu besseren Projekten bzw. zu einer besseren Nutzung der Fördermittel? Und welche Formen der Beteiligung?

Author(s)

Thünen-Institut, Braunschweig

Ressourcen

German language

Village Development Plans: Local governance arrangements and the role of steering groups

(PDF – 3.68 MB – 84 pages)